Leybrand: Der Schwarzwaldschamane

Leybrand: Der SchwarzwaldschamaneHanna Leybrand

Der Schwarzwaldschamane

Geschichten & Kurzprosa

Gebunden, 218 Seiten

ISBN 10: 3-934877-52-4

ISBN 13: 978-3-934877-52-8

Preis: Euro 17,80

Nach ihrem ersten Prosaband legt Hanna Leybrand hier neue Erzählungen, Eskapaden der Phantasie, Erinnerung und subtilen Beobachtung vor. Sie speisen sich aus der Fülle der Erfahrung mit komplexen Menschen und dem eigenen Ich. Wie man in Liebes- und Lebenslagen miteinander umgeht, zieht die Autorin immer wieder in den Bann. Momente prekären Glücks, die Existenzformen gerade der schrägen Vögel, aber auch die Lebenstaktiken und die Worte, mit denen man Schweres erträgt, reizen ihre erzählerische Imagination. Ironisch werden reale und eingebildete Probleme umkreist. Der Leser wird nicht mit Bösartigkeit überfallen, sondern nimmt mit dieser Erzählerin vieles von neuem oder zum ersten Male wahr, dies gerade dort, wo sich der genaue Blick auf die Verrücktheiten des Alltags satirisch richtet.

Leseprobe:
Lena besaß eine Hörkassette von Ivan Kirilov. Auf dem Cover das Brustbild eines, wie sie trotz fallender Schultern annahm, athletischen Burschen von Ende zwanzig in schwarzem Hemd. Sein Gesicht unter der braunen Mähne war regelmäßig, der Hals muskulös mit ausgeprägtem Adamsapfel. Dunkle Brauen entsprachen breit geschwungenen Lippen, die sich unter einer kurzen Nase verächtlich nach vorn wölbten. Schönheit sagte man ihm nach - und Arroganz. Lena schwärmte für ihn, selbst wenn er, wie sie fand, mit der Präzision einer Maschine Klavier spielte. Auch hieß es, er sei der aufsteigende Jungstar der Gegenwart schlechthin. Dieser hoffnungsvolle Klaviervirtuose auf dem Foto warf aus den Augenwinkeln einen derart hochmütigen Blick zur Seite hin, daß Lena darauf brannte, ihn im Konzertsaal zu erleben. Sein Solokonzert war jedoch nicht Bestandteil ihres Orchesterabonnements. Sie hatte eine der letzten Karten ergattert. Das Haus war bis in die hintersten Reihen ausverkauft. Alle Musikbegeisterten der Stadt schienen teilhaben zu wollen am Ereignis dieser - so die Presse - Ausnahmebegabung. Immerhin saß Lena, wenn auch seitlich der Bühne, in der ersten Balkonreihe, so daß ihr niemand die Sicht verstellte. Verärgert bemerkte sie, daß sie ihr Opernglas vergessen hatte. Sie erwartete eine Art Raubtiernummer, stellte sich vor, da stürme nun etwas Ungezähmtes, Spektakuläres auf die Bühne, einer, der seine Mähne schütteln und das Publikum schlagartig in seinen Bann ziehen würde. Ivan Kirilov ließ auf sich warten. Mit Räuspern, Füßescharren und dem Knarren der Klappsitze begann das Publikum sich bemerkbar zu machen. Gespräche flammten auf, so daß dichtes Geraune den Raum füllte. Niemand schien Notiz zu nehmen von dem jungen Mann, der gemächlichen Schritts auf die Bühne schlurfte. Ein dreister Besucher, dachte Lena, der sich die Zeit vor dem Konzert damit verkürzte, den kostbaren Steinway-Flügel aus der Nähe zu betrachten. Sein gelangweilter Blick streifte die Menge, kaum daß er den Kopf wandte. Er setzte sich an den Flügel ganz wie einer, der den Klang ausprobieren will, und spielte beiläufig hinein in die Geräusche des Saals, in die Gespräche der Konzertbesucher, fing einfach an zu spielen, als gingen der Saal, die Leute, das Konzert ihn nichts an. So setzte sich einer zu Hause ans Klavier, um ein bißchen zu üben. Der Bursche spielte gewissermaßen in Strickjacke und Hauspantoffeln. Lena starrte angestrengt auf dieses entfernte Gesicht, das, soviel konnte sie immerhin erkennen, keine Miene verzog. Nur der Mund bewegte sich bei geschlossenen Lippen, als kaue er einen Kaugummi. Vielleicht hat er tatsächlich einen Kaugummi im Mund, dachte sie. Allmählich hatte sich auch im Parkett der Eindruck verfestigt, daß der dort auf der Bühne kein neugieriger Konzertbesucher oder vielleicht der Klavierstimmer sei, sondern wohl doch der mit Spannung Erwartete. Es wurde still.