Tietz: Gründe der Freiheit

 Erscheint demnächst!

Udo Tietz

Gründe der Freiheit

Essays - Band 2

Paperback, 230 Seiten

ISBN 978-3-944512-31-0

Preis Euro 24,00

 

 

 

 

 

Kant und Hegel begriffen die Französische Revolution als einen Epochenumbruch, wie auch Goethe, der im Unterschied zu diesen den Epochenumbruch jedoch auch als einen Schiffbruch sehen wollte – in allen irdischen Dingen sah er das gleiche Aufsteigen und Vergehen und verglich dieses mit dem »Wasser, das durch ein Schiff verdrängt wird« und das dann »gleich hinter ihm wieder zusammenstürzt«. Auch das war schön gesagt. Sein geschichtsphilosophischer Kommentar von der spurlosen Bahn dessen, was die Zeitgenossen Fortschritt nannten, lässt sich als das Bild einer historischen Ernüchterung lesen, die dem »Geschichtsstolz des ausgehenden Jahrhunderts der Aufklärung ... auf die Fortgängigkeit der einmal aufgefundenen Wege« die einfache These entgegenhält: Das Meer der Geschichte kennt keine Spuren von Gewesenem. »Fortschritte wie Untergänge hinterlassen dieselbe unberührte Oberfläche.«
Von der friedlichen Revolution im Jahr 1989 hat kein bedeutender Denker so gesprochen. Wenngleich es sich auch hier um eine ›große Umwälzung‹ gehandelt hat, schließlich hat genau 200 Jahre nach der großen Revolution der Franzosen der Sozialismus die Bühne der Weltgeschichte verlassen – und wurde ins Meer der Geschichte verklappt. Allenfalls
von einer ›nachholenden Revolution‹ war die Rede. Und auch dies nur verhalten. Enthusiasmus sieht anders aus. Dieser hielt sich in engen Grenzen – jedenfalls bei den Denkern und hier wiederum besonders bei jenen, die die Geschichte aus der Perspektive des ›Kammerdieners‹ betrachteten. Dies erstaunte mich – damals. Ich war davon überzeugt: Im Jahr 1989 ist
nicht nur der alte Osten von der Bühne der Weltgeschichte verschwunden, sondern auch der alte Westen – nur hat dies bis heute fast niemand bemerkt. Und ich bin auch heute noch davon überzeugt. Das 20. Jahrhundert, das Historiker auch das ›Zeitalter der Extreme‹ nannten, ging in den Herbsttagen des Jahres 1989 zu Ende – mit Konsequenzen, die bis in unsere
Gegenwart reichen und vermutlich über diese hinaus. Was damals vorschnell das ›Ende der Geschichte‹ genannt wurde, war in Wahrheit der Beginn des 21. Jahrhunderts, das vielleicht einmal als das Ende des alten Europas und das Jahrhundert Chinas in die Geschichtsbücher eingehen wird.